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Was ist inklusive und gendergerechte Sprache? Fragen und Antworten

Der Internationale Nichtbinär-Tag wird am 14. Juli gefeiert, genau zwischen dem Frauentag im März und dem Männertag im November. Ich wählte 2021 die Non-Binary Awareness Week als Zeitpunkt für die Publikation des ersten Blogartikels. Was nichtbinär bedeutet und mit Lektorat zu tun hat, liest du im folgenden Q&A.

Veröffentlicht am 16. Juli 2021

Zuletzt aktualisiert am 17. Juli 2023

Im Pride-Monat Juni sind Vielfalt und Inklusion jeweils in aller Munde. Ist das nicht einfach Pinkwashing der Unternehmen?

Gute Frage. Was bedeutet Pinkwashing überhaupt? Dieser Begriff ist von Whitewashing (Schönfärberei) abgeleitet:

«Pinkwashing bezeichnet Strategien, durch das Vorgeben einer Identifizierung mit der LGBT-Bewegung bestimmte Produkte, Personen, Länder oder Organisationen zu bewerben, um dadurch modern, fortschrittlich und tolerant zu wirken.» (Wikipedia)

Generell kann ich nicht beurteilen, ob ein Unternehmen Pinkwashing betreibt, weil ich nicht in die Firmen hineinsehen kann – wie ernst meinen sie es damit? Doch ich lebe gerne in einer Gesellschaft, in der sich möglichst viele für die Sichtbarkeit und die Rechte von Minderheiten einsetzen. In diesem Fall handelt es sich um die LGBTQIA+-Community. LGBTQIA+ ist die Abkürzung für Lesbian, Gay, Bi, Trans, Queer, Intersex und Asexual und weitere. Auf Deutsch steht das also für lesbisch, schwul, bisexuell, trans, queer, intersexuell, asexuell und alle anderen, sich selbst der queeren Community zugehörig fühlen. Es geht also um die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität.

Aus einer traditionelleren Perspektive sind das Menschen, die nicht heterosexuell sind und/oder sich nicht mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren. Somit weichen sie von der dominanten Norm ab und werden diskriminiert, obwohl sie nichts dafürkönnen. Ähnlich ist es mit anderen Diskriminierungsformen: Die Persönlichkeit und die Leistung zählen weniger als Merkmale, die man kaum oder nicht beeinflussen kann. Bestraft wird jeweils das Abweichen von einer Norm. Je mehr man der Norm entspricht, desto höher steht man in der gesellschaftlichen Hierarchie:

DiskriminierungsformMerkmalNormAbweichung
AbleismusFähigkeit, Behinderung, Gesundheitszustandfähig, nicht behindert, gesundnicht fähig, behindert, krank
AltersdiskriminierungAltererwachsen, jungminderjährig, alt
Cis-SexismusGeschlechtsidentitätcis-geschlechtlichtrans-/intergeschlechtlich und nichtbinär
Heterosexismussexuelle und romantische Orientierungheterosexuellhomosexuell, bisexuell usw.
Klassismussoziale Herkunft oder Stellungreich, gebildetarm, ungebildet
LookismusAussehennormschön, schlanknicht normschön, dick
Rassismus«Rasse» (biologische Merkmale, aber auch Nationalität, Sprache, Religion, Weltanschauung, Herkunft und Kultur)weiss, einheimisch, christlichPeople of Color, «fremd», nicht-christlich
SexismusGeschlechtmännlichweiblich, trans-/intergeschlechtlich und nichtbinär usw.
Tabelle 1: verschiedene Diskriminierungsformen

In einer vielfältigen und inklusiven Gesellschaft stehen solche Hierarchien weniger im Mittelpunkt. Sie ist horizontal ausgerichtet, alle Mitglieder sind grundsätzlich gleich viel wert. Unterschiede und Vielfalt werden positiv gesehen. Das zeigt sich auch in der Sprache: Sie macht sichtbar, ist wertschätzend und möglichst gewaltfrei.

Abbildung 2: Veranschaulichung verschiedener Konzepte des Zusammenlebens (Wikipedia)

Das ist ja schön und gut; aber bringt es überhaupt etwas, eine inklusive Sprache zu benutzen?

Ja, es bringt etwas, denn Sprache schafft Realität – und umgekehrt (vgl. Boroditsky 2017). Dazu gibt es verschiedene Studien und Experimente. Beispielsweise fanden polnische Forschende 2016 heraus, dass sich Teilnehmende weniger über eine 50-Rappen-Münze freuten, wenn sie als klein bezeichnet wurde (vgl. Gygax, Zufferey & Gabriel 2021, 20–23).

Weiter werden schon Babys anders bewertet, je nachdem ob sie als Mädchen oder Junge wahrgenommen werden. Wer ein Kleinkind hat, kann dies selbst testen: einfach das Kind genderneutral anziehen und fremden Menschen abwechselnd ein anderes Geschlecht angeben. Ein Mädchen wird tendenziell als schön und süss bezeichnet, ein Junge als kräftig und gross. Diese Aussensicht beeinflusst wiederum die Selbstwahrnehmung und vice versa (vgl. Gygax, Zufferey & Gabriel 2021, 25–27).

Dazu kommt, dass das sogenannte generische Maskulinum – wenn die männliche Form für gemischte Gruppen verwendet wird – von unserem Gehirn meistens nicht verstanden wird. Das illustrierte unter anderen der Psycholinguist David Reynolds mit der folgenden Geschichte.

Ein Vater und sein Sohn gehen in die Ferien ans Meer. Auf dem Weg haben sie einen Unfall. Der Vater stirbt, der Sohn überlebt und wird ins Spital gebracht. Im Spital sagt der zuständige Chirurg: «Ich kann nicht operieren, das ist mein Sohn.»

Wie ist das möglich? Spoiler: Der Chirurg ist die Mutter des Jungen. In der Studie von 2006 hatten viele Teilnehmende Mühe, die richtige Antwort zu finden (vgl. Gygax, Zufferey & Gabriel 2021, 35).

Unsere Sprache wandelt sich ausserdem ständig. Zum Beispiel verwenden wir Wörter nicht mehr, die früher normal waren, etwa Fräulein oder das N-Wort. Wenn im Fernsehen Ausschnitte aus den 1950er-Jahren gezeigt werden, mutet die verwendete Sprache seltsam an. Und Texte aus vorherigen Jahrhunderten sind für uns teilweise schwierig zu verstehen.

Trotzdem, sollten wir nicht eher im Bereich Lohngleichheit und finanzielle Unabhängigkeit vorwärtsmachen?

Das eine schliesst das andere nicht aus. Unsere Gesellschaft besteht aus verschiedenen Bereichen: Sprache, Arbeit, Wirtschaft, Umwelt, Gesundheit, Familie, Politik, Recht usw. Wer behauptet, dass Sprache nicht wichtig sei, soll eine Woche lang weder sprechen noch sonst kommunizieren …

Überall gibt es Bestrebungen, die Gesellschaft inklusiver zu gestalten. Jede:r macht, was sie:er kann. Mein Fachgebiet ist die Linguistik, deshalb setze ich mich im Bereich Sprache für mehr Gleichberechtigung und Inklusion ein – und natürlich allgemein im Alltag.

Ich bin verunsichert, die Rechtschreibeprüfung von Word unterstreicht gegenderte Passagen rot. Zudem erkennen viele Institutionen das Gendern noch nicht an.

Viele Institutionen sind eher konservativ und reagieren auf gesellschaftliche Veränderungen, statt sie selbst anzustossen. Das ist nachvollziehbar. Doch Genderstern & Co. werden stets beliebter. Immer mehr Unternehmen verwenden den Gender-Doppelpunkt, wie zum Beispiel LinkedIn, Apple und teilweise SRF.ch. Der Duden gibt verschiedene Publikationen zum Thema Gendern heraus, beispielsweise das Handbuch für geschlechtergerechte Sprache (vgl. Diewald & Steinhauer 2017, 2018, 2019, 2020 oder Stefanowitsch 2018).

Jetzt hat der Bund Gender* & Co. in offiziellen Texten sogar verboten!

Am 15. Juni 2021 hat die Schweizer Bundeskanzlei eine Weisung «Umgang mit dem Genderstern und ähnlichen Schreibweisen in deutschsprachigen Texten des Bundes» erlassen. Gemäss diesem Dokument dürfen in amtlichen Dokumenten weder Genderzeichen noch das generische Maskulinum verwendet werden. Ein Argument lautet, dass die Verwendung ideologisch motiviert sei:

Die Zeichen sind heute noch vorwiegend Ausdruck einer bestimmten gesellschaftspolitischen Haltung, sie haben den Aspekt eines «Statements»: Man zeigt damit, dass man offen ist für das Anliegen von Menschen, die vom binären Geschlechtermodell nicht erfasst werden. (Schweizer Bundeskanzlei 2021)

Das stimmt. Unsere Art zu sprechen verrät immer etwas über unsere Weltanschauung. Martin Luginbühl, Professor für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Basel, merkt hierzu an:

Man muss sich klar machen, dass es keine Sprache ohne Ideologie gibt. Auch die heutige Sprache enthält Ideologien und Wertvorstellungen. Wir sagen etwa «verbrüdern» und «jedermann». Darin steckt das Prinzip, dass der Mann die Norm ist. Auch beim sogenannten «generischen Maskulinum» – also wenn wir «Ärzte» sagen, und damit die Ärztinnen mitmeinen – denken die meisten Menschen an Männer und nicht an beide Geschlechter. Sprache hat einen Einfluss auf unsere Wahrnehmung und auf die Konzepte in unseren Köpfen. (Dschen 2021)

Was viele nicht wissen: Das generische Maskulinum ist noch gar nicht so alt. Gelehrte der deutschen Grammatik erklärten erst Anfang des 20. Jahrhunderts, dass die männliche Form auch Frauen einschliesst. In die Grammatiken ging diese Regel ab den 1960er-Jahren ein. Davor wurden Frauen durch den Gebrauch der männlichen Form explizit ausgeschlossen. Paarformen und neutrale Formulierungen hingegen sind schon für das Mittelalter belegt (vgl. Doleschal 2013).

Analysen verschiedener Sprachen zeigen, dass es immer wieder Maskulinisierungswellen gab: Sprachliche Formen wurden mit dem Ziel geändert, Frauen aus der Öffentlichkeit auszuschliessen. Im 17. Jahrhundert wurden zum Beispiel im Französischen weibliche Berufsbezeichnungen aus dem Wörterbuch gestrichen (vgl. Gygax, Zufferey & Gabriel 2021, 55–61).

Irmen & Steiger (2006, 229) rekonstruierten,

«wie sich der generische Gebrauch maskuliner Formen nach und nach in den Sprachgebrauch „einschlich“, flankiert von zeitgenössischen Gesellschaftsstrukturen und Weltanschauungen. Die Annahme einer Höherwertigkeit des Maskulinen prägte die Vorstellungen über das grammatische Geschlecht. Diese „patriarchalisch anmaßende Rechtfertigung durch die ‚Meistererzählungen‘ der Grammatiker“ (Bußmann, 1995, S. 144) begründete schließlich das Konzept des generischen Maskulinums.»


Die Forderung, dass die weibliche Bevölkerung sprachlich angemessen dargestellt wird, ist vor diesem geschichtlichen Hintergrund demnach nichts weiter als eine Korrektur. Dabei ergibt es Sinn, zugleich weitere diskriminierte Gruppen einzubeziehen, etwa non-binäre Menschen.

 Generisches MaskulinumNennung weiblicher und männlicher FormenGenderzeichen und neutrale Formen
BeispielDie Schweizer haben die Pestizid-Initiative am 13. Juni 2021 abgelehnt.Die Schweizerinnen und Schweizer haben die Pestizid-Initiative am 13. Juni 2021 abgelehnt.Die Schweizer:innen haben die Pestizid-Initiative am 13. Juni 2021 abgelehnt.   Oder:   Die Schweiz hat die Pestizid-Initiative am 13. Juni 2021 abgelehnt.
IdeologieDer Mann ist die Norm. Es gibt Männer und Frauen.Es gibt mehrere Geschlechter.
GeschlechtermodellMännliche DominanzBinäres GeschlechtermodellInklusion aller Geschlechter
Tabelle 2: die Ideologie verschiedener Sprechweisen

Was bedeutet eigentlich non-binär?

Non-binäres Geschlecht (oder auch nicht-binär) ist nur ein Oberbegriff, der einfach bedeutet, dass jemand sich nicht in das herkömmliche, streng zweigeteilte Geschlechtersystem einordnen kann oder will. Ein synonymer Begriff ist genderqueer. (Nonbinary.ch)

Es gibt verschiedene Ausprägungen von non-binärem Geschlecht. Sie beschreiben, wie sich jemand fühlt.

Agender: jemand fühlt sich explizit ohne Geschlecht

Bigender: jemand fühlt sich als zweigeschlechtlich (z. B. als «Mann und Frau»)

Genderfluid: das Geschlechtsempfinden ist fliessend, d. h. verändert sich immer wieder (Nonbinary.ch)

International bekannte Persönlichkeiten sind Judith Butler, Demi Lovato und Harry Styles. In der Schweiz kennt man zum Beispiel Sascha Rijkeboer, Comedian Edwin Ramirez und das Model Tamy Glauser, welches kürzlich hier über ihre Non-Binarität sprach. Wer sich für das Thema interessiert, erhält mit dem Newsletter von Nonbinary.ch viele weitere Informationen.

Alles klar, nur weiss ich nicht, welche Form ich verwenden soll! Binnen-I, Doppelnennung, Wechselnennung, generisches Femininum, Genderstern, Gender-Gap oder Genderdoppelpunkt?

Grob gesagt kommt es auf den Kontext, die Zielgruppe und das Ziel an. Welche Formen sind üblich, an wen wende ich mich, was will ich bewirken?

Wenn das wichtigste Ziel ist, Frauen sichtbar zu machen, können zweigeschlechtliche Formen Sinn machen. Um zu provozieren und aufzurütteln, bietet sich das generische Femininum an. Genderstern, -Gap und -doppelpunkt dienen dazu, non-binäre Menschen einzubeziehen.

In einigen Kontexten ist es bereits normal und erwünscht, zu gendern. Tendenziell gilt das bei jüngeren Menschen als Zielgruppe, eher im Privaten als im Beruflichen, wenn es sich um einen eigenen Text handelt, in der Online-Welt und in schriftlicher Form.

Kontexttendenziell weniger genderneher gendern
Zielgruppeältere Menschenjüngere Menschen
Situationberuflichprivat
UrheberschaftText im Namen des Unternehmens o. Ä.eigener Text
Mediumgedruckter TextOnline-Text
Formmündlichschriftlich
Tabelle 3: Gendern und Kontext

Bei Schreibweisen mit Genderzeichen stellt sich jeweils die Frage, wie das ins Mündliche transportiert wird. Bei Formen wie Sprecher:innen wird eine Genderpause mit dem sogenannten Glottisschlag gemacht. Das ist ein Knacklaut, der in vielen Sprachen existiert und durch die plötzliche, stimmlose Lösung eines Verschlusses der Stimmlippen gebildet wird. Auf Deutsch erklingt er etwa zu Beginn des Wortes «acht» oder in der Mitte von «vereinen», zwischen «ver» und «einen». Im österreichischen Deutschen und im Schweizer Hochdeutschen tritt der Glottisschlag allerdings nicht auf. Die deutsche Komikerin Carolin Kebekus erklärt den Glottisschlag sehr anschaulich mit dem Lied «Lady Gender Gaga – Alles wird sich gendern (Glottisschlag)»:

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Lady Gender Gaga – Alles wird sich gendern (Glottisschlag) von Carolin Kebekus

Ich fühle mich nicht wohl bei der Verwendung von Genderzeichen und Glottisschlag.

Das ist völlig verständlich. Mit dieser Veränderung der Sprachpraxis hinterfragen wir Erlerntes und setzen uns Kritik aus. Das kann unangenehm sein. Wir sollten diesen Wandel als Prozess sehen und nachsichtig mit sich selbst und anderen umgehen. Vielleicht beginnt man, indem man das generische Maskulinum hier und dort durch neutrale Formen ersetzt oder Sätze umformuliert. Man kann zuerst schriftlich gendern, nur im privaten Bereich, und nur mit Menschen, die es ebenfalls tun. Je mehr Menschen Genderzeichen und Glottisschlag verwenden, desto normaler und einfacher wird es. Gerade wer in der Öffentlichkeit steht, kann als Vorbild dienen. Im Schweizer Kontext verwendet etwa die Journalistin und Fernsehmoderatorin Bigna Silberschmidt den Glottisschlag (Stand Juli 2021).

Die Nennung zweier Geschlechter in Schrift und Wort ist etabliert und immer noch besser als die eines Geschlechts (generisches Maskulinum), da Erstere ungefähr die Hälfte der Bevölkerung sichtbar macht. Hier gilt es allerdings auf die Reihenfolge zu achten: Das zuerst Genannte wird als wichtiger angesehen (vgl. Gygax, Zufferey & Gabriel 2021, 39–48).

Es ist hingegen nicht klar, wie gross der Anteil nicht-binärer Menschen ist. Es gibt aber Studien dazu, beispielsweise eine Online-Umfrage mit 19 000 Personen im Alter von 16 bis 74 Jahren aus 27 Ländern des Markt- und Meinungsforschungsinstitut Ipsos. Diese ergab im Mai 2021, dass sich nach 1996 geborene Menschen (Generation Z) eher als transgender identifizieren als ältere Personen (Generation der Babyboomer), nämlich 4 % vs. 1 %.

Abbildung 3: Genderidentität und sexuelle Orientierung nach Generation (Boyon & Silverstein 2021)

Allerdings ist die Vorstellung, dass sich alle Menschen einem von zwei Geschlechtern zuordnen lassen, nicht sehr alt. Diese kam erst im 19. Jahrhundert mit «dem Wahrheitsanspruch und den Klassifikationsbedürfnissen der modernen Wissenschaft und Medizin» (Kaminiski 2018) auf. Noch im Mittelalter war die Gesellschaft offener, das sieht man zum Beispiel in der Rechtsprechung, die ein drittes Geschlecht berücksichtigte (Kaminiski 2018).

Unsere Geschichtswahrnehmung geht bis ins 20., höchstens 19. Jahrhundert zurück. Das hängt damit zusammen, dass unsere Zeitzeug:innen aus dem 20. Jahrhundert stammen. Deshalb denken viele, dass das generische Maskulinum schon vor den 1950er-Jahren die Norm war, genauso wie die traditionelle Rollenteilung. Wenn eine historische Perspektive einbezogen wird, die über das 19. Jahrhundert hinaus geht, reicht diese höchstens bis in die Antike. Denn die Antike wird generell als die Wiege unserer Gesellschaft gesehen. Dabei geht vergessen, dass die Menschen schon viel länger existieren, nämlich seit gut zwei Millionen Jahren. Erst vor 12 000 Jahren begannen Menschen, sesshaft zu werden. Die Schrift wurde vor «nur» 5000 Jahren erfunden. Wir wissen also gar nicht, wie die Menschen davor gesprochen hatten … Vielleicht hatten sie gegendert?

Abbildung 4: Übersicht der Menschheitsgeschichte (Mysteries unsolved)

Okay, das geht mir jetzt aber ein bisschen zu weit. Beschäftigen wir uns wieder mit aktuellen, konkreten Problemen. Zum Beispiel grammatikalischer Art.

Gute Idee, denn davon gibt es einige (vgl. etwa Krome 2020). Im Wort «die Sprecher:innen» sind ja tatsächlich die weibliche und die männliche Form enthalten. Wie sieht es aber mit «den Sprecher:innen» aus? Eigentlich müsste man «den Sprecher:inne:n schreiben, so wie das im Französischen oft gehandhabt wird: «les étudiant·e·s». Und «Französ:innen»? Hier dominiert die weibliche Form einfach die männliche «Franzosen». Ist das gerechtfertigt, zum Ausgleich für das generische Maskulinum? Ich persönlich denke schon, und so ist es üblich. Im Singular wird es dann komplizierter: «Wer zum*zur Ärzt*in geht …» Da ist Kreativität gefragt – und Sprachexpert:innen, die auf inklusive Sprache spezialisiert sind.

Zudem gibt es viele Werkzeuge. Da sind zum Beispiel die Schreibtipps von genderleicht.de, das Wörterbuch von geschicktgendern.de sowie genderapp.org oder die Leitfäden der Schweizer Bundeskanzlei, von Bildungsinstitutionen und Organisationen (vgl. Abteilung für die Gleichstellung von Frauen und Männern der Universität Bern 2017, Leonarz M., Schweizer Syndikat Medienschaffender, syndicom – Gewerkschaft Medien und Kommunikation & impressum – die Schweizer Journalistinnen 2015 oder Transgender Network 2020). Gendercampus.ch ist die Plattform für Gender Studies, Equality und Diversity im Schweizer Hochschulraum. Sie informiert mit einem Newsletter über Aktivitäten und Neuigkeiten zu diesen Thema. Fairlanguage.de bietet unter anderem ein Autokorrektur-Tool an (Stand Juli 2023: Fairlanguage.de hat das Tool eingestellt, dafür gibt es nun ein ähnliches Werkzeug von www.witty.works). Die Textagentur Supertext feierte den Pride-Monat mit einem kostenlosen Crashkurs (vgl. Schmuki 2021). Dabei ging es auch darum, wie inklusive Texte von Suchmaschinen gefunden werden (SEO).

Alles klar. Wollen die betroffenen Menschen eigentlich, dass wir unsere Sprache ändern?

Das ist ein sehr guter, zentraler Punkt. Ich als Frau möchte sichtbar sein. Ich will nicht mitgemeint werden! Meistens sehe ich mich aber gar nicht primär als weiblich, denn das Geschlecht steht nicht im Vordergrund. Neutrale Begriffe sind also völlig in Ordnung für mich.

Die Queer-Aktivistin Anna Rosenwasser (vgl. 2021) plädiert in der NZZ ebenfalls für Genderzeichen und neutrale Bezeichnungen.

Es ist definitiv wichtig, dass wir den betroffenen Menschen Gehör schenken (vgl. Kaminiski 2018). Wie wärs, wenn wir weniger werten und mehr zuhören? Lies deshalb zum Schluss, welche Sprache das Transgender Network Switzerland in seinem Medienguide empfiehlt:

Angemessene BezeichnungenZu vermeidende Begriffe
trans Mensch, Transgender, trans Mann, trans Frau, trans Person (bzw. Selbstbezeichnung der porträtierten Person: bitte nachfragen)Abwertend: Transe, Mann-Weib, ehemaliger Mann / ehemalige Frau, Tranny, Shemale. Andere Phänomene: Transvestit, Drittes Geschlecht.
cis Frau / cis Mannnormaler Mann, richtiger Mann / normale Frau, richtige Frau
Geschlechtsangleichung bzw. -anpassung, körperliche Angleichung bzw. AnpassungGeschlechtsumwandlung, -änderung, Verwandlung, Mutation, umbauen, umoperieren
Genetisches Geburtsgeschlecht oder biologisches Geburtsgeschlecht, bei der Geburt zugewiesenes GeschlechtUrsprüngliches Geschlecht, biologisches Geschlecht, eigentliches Geschlecht
GeschlechtsidentitätWunschgeschlecht, Gegengeschlecht, anderes Geschlecht, neues Geschlecht
geschlechtsneutrale Formulierungen: Kind, Teenager, Person, MenschMädchen, Tochter, Jugendliche u. Ä. für einen trans Mann / Jungen; Sohn, Kollege u. Ä. für eine trans Frau
wurde bei der Geburt als Mädchen eingeordnet, kam in einem Körper zur Welt, wie ihn üblicherweise Mädchen habenWar ein Mädchen bzw. eine Frau, ehemalige Frau, ist biologisch eine Frau
Gewählter VornameAlter Vorname
Tabelle 4: Empfehlung, welche Begriffe über trans Menschen vermieden und welche stattdessen verwendet werden sollen (vgl. Transgender Network Switzerland)

Konntest du durch den Blogartikel etwas lernen?

Lass es mich gerne wissen! Möchtest du dich in diesem Thema weiterbilden und oder deine Texte verbessern? Als Diversity-Beraterin, Texterin und Lektorin stehe ich dir mit Vergnügen zur Seite.

Quellenverzeichnis

Abteilung für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2017): Geschlechtergerechte
Sprache. Empfehlungen für die Universität Bern. URL: https://www.unibe.ch/unibe/portal/content/e809/e810/e812/e824/e826/e17401/e554561/e554562/2017GendergerechteSprache_Auflage2_f.Web_ger.pdf
[zuletzt geprüft: 14. 07. 2021].

Boroditsky, Lera (2017): How language shapes the way we think. URL: https://www.ted.com/talks/lera_boroditsky_how_language_shapes_the_way_we_think
[zuletzt geprüft: 14. 07. 2021].

Boyon, N. & Silverstein, K. (2021): LGBT+ Pride 2021 Global Survey points
to a generation gap around gender identity and sexual attraction. URL: https://www.ipsos.com/en-us/news-polls/ipsos-lgbt-pride-2021-global-survey
[zuletzt geprüft: 14. 07. 2021].

Diewald, G. & Steinhauer, A. (2017): Richtig gendern: Wie Sie angemessen
und verständlich schreiben. Berlin: Duden.

Diewald, G. & Steinhauer, A. (2018): Gendern?! Gleichberechtigung in der
Sprache – ein Für und ein Wider. Berlin: Duden.

Diewald, G. & Steinhauer, A. (2019): Gendern – ganz einfach! Berlin: Duden.

Diewald, G. & Steinhauer, A. (2020): Handbuch geschlechtergerechte
Sprache: Wie Sie angemessen und verständlich gendern. Berlin: Duden.

Dschen, M. (2021): Braucht es eine genderneutrale Sprache? URL: https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/sprache-und-gender-braucht-es-eine-genderneutrale-sprache
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Doleschal, U. (2013): Das generische Maskulinum im Deutschen. Ein
historischer Spaziergang durch die deutsche Grammatikschreibung von der
Renaissance bis zur Postmoderne. Linguistik
Online
11(2).
URL: https://doi.org/10.13092/lo.11.915 [zuletzt geprüft: 14. 07. 2021].

Fairlanguage: Autokorrektur-Tool für gendergerechte Sprache. URL: https://fairlanguage.com/autokorrektur-tool-fuer-gendergerechte-sprache/
[zuletzt geprüft: 14. 07. 2021].

Genderapp.org: Genderwörterbuch. URL: https://genderapp.org/ [zuletzt
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Genderleicht.de: Genderleicht schreiben. URL: https://www.genderleicht.de/schreibtipps/
[zuletzt geprüft: 14. 07. 2021].

Geschicktgendern.de: Genderwörterbuch. URL: https://geschicktgendern.de/ [zuletzt
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masculin? Cerveau, langage et représentations sexistes. Paris: Le Robert.

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Aspekte im historischen Diskurs. Zeitschrift für germanistische Linguistik, 33(2–3),
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gelungene Textrealisation. In: Ewels, Andrea-Eva/Plewnia, Albrecht (Hrsg.): Themenheft
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Nonbinary.ch: Symbole für non-binäres Geschlecht. URL: https://www.nonbinary.ch/symbole/
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Rocktäschel, L. C. (2021): Richtig gendern für Dummies. Weinheim: Wiley.

Rosenwasser, A. (2021): Oh boy, dieses Gendern! Werden Sie verspielt,
neugierig und offen mit Ihrer Sprache, lieber Leser. Ein Plädoyer für
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Schmuki, F. (2021): Supertext feiert Pride Month mit kostenlosen
Online-Crashkursen für jedermensch und tod@s. URL: https://blog.supertext.ch/2021/06/supertext-feiert-pride-month-mit-kostenlosen-online-crashkursen-fuer-jedermensch-und-tods/
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Stefanowitsch, A. (2018): Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte
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Inklusive Kommunikation zu Weihnachten

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